SERIE Kreative Gemeinde: Verwaltungs-Zweckverband Rosenheim-Traunstein-Tölz schafft Luft für Inhalte
erschienen im Sonntagsblatt vom 02.Juni 2019, Redaktion: Susanne Schröder
Die Steuerbelege im Weinkarton oder im Stehordner? Saubere Socken: ein Haufen im Korb oder gestapelt im Schrank? Wie verschieden die Ordnungssysteme auch sein mögen, unbestreitbar ist: Ohne ein gewisses Maß an Verwaltung versinkt der Alltag unweigerlich im Chaos. Das gilt erst recht, wenn Geld, Verträge und Gesetze im Spiel sind – zum Beispiel bei den rund 1500 evangelischen Kirchengemeinden Bayerns.
Das Gehalt für die Sekretärin, das Meldewesen für Taufen und Trauungen, neues Personal für die Kita, die Kirchenrenovierung: Es ist eine Flut an Verwaltungsaufgaben, die Kirchengemeinden – jede rechtlich selbstständig – zu bewältigen haben. Hätten, denn meistens kümmern sich Verwaltungsstellen darum. Die heißen Gesamtkirchengemeinde, Kirchengemeindeamt oder Verwaltungsverbund. Zehn Verwaltungsverbünde gibt es im Raum der ELKB, und die Nummer zehn ist seit Januar eine Nummer eins: Als Erste haben die Dekanate Rosenheim, Traunstein und Bad Tölz ihren gemeinsamen Verwaltungsverbund in die Rechtsform eines Zweckverbands überführt.
Wer angesichts dieser Nachricht ein Gähnen unterdrücken möchte, hat noch nicht mit Wilfried Dietsch gesprochen. »Verwaltung ist keine schnöde Sachbearbeitung, sondern Gestaltung «, sagt der Diakon und seine Augen blitzen. Als Zweckverband sei der Verwaltungsverbund jetzt selbst eine rechtsfähige Körperschaft öffentlichen Rechts. Die Vorteile? »Wir haben einen gemeinsamen schlanken Entscheidungsweg, um zu handeln – Stellen besetzen, Verträge abschließen und benötigte Dienstleistungen auf den Weg bringen«, erklärt der Geschäftsführer. Damit fallen auf einen Schlag drei zeitintensive Schleifen durch drei Dekanatsausschüsse und -synoden weg. Auch die Themen »Bau« und »IT« sind bei zwei verbandsinternen Dienstleistern konzentriert – für mehr Expertise und Synergie.
Von einer schlankeren Organisation erhoffen sich die beteiligten Dekanate »eine zukunftsfähige Arbeitsteilung« und eine nachhaltig finanzierbare Verwaltung, so steht es in der Präambel der Satzung. Der Zweckverband richte all sein Handeln daran aus, für die derzeit 43 Kirchengemeinden die beste Dienstleistung zu schaffen. Oder, wie Wilfried Dietsch es sagen würde: »Wir geben alles, damit Kirchengemeinden ihrem geistlichen Auftrag gerecht werden können.«
Damit das im Sinne der Dekanate geschieht, ist der neunköpfige Vorstand zu gleichen Teilen mit Dekanen, Kirchenvorstehern und Ehrenamtlichen aus Rosenheim, Traunstein und Bad Tölz besetzt. »Wir sind ein eigenständiger Verwaltungsdienstleister, aber alle inhaltlich strategischen Entscheidungen bleiben in den Dekanaten«, betont der Diakon.
Die Größe seines Verwaltungsgebiets – vom Starnberger See bis nach Freilassing, von Altötting bis zum Königssee – empfindet Dietsch als Gewinn. »Die Gemeinden leben natürlich in ihren Grenzen, aber wir kennen alle 43 – das ist ein riesen Schatz!«, sagt der Verwaltungsprofi. Beispiel Zuschüsse: Wenn die eine Kommune Geld gibt für eine Sache, kann Dietsch dieses Wissen bei der Nachbarkommune einsetzen.
Neben den klassischen Themen wie Personal sieht Wilfried Dietsch derzeit drei große Zukunftsaufgaben für seine beiden Verwaltungsstandorte in Rosenheim und Traunstein. Kindertagesstätten sind eine davon: Verwaltungstechnisch sei das »ein hartes Geschäft, mit hoher Taktung, schwankenden Zahlen, kompliziertem Fördersystem«. Schon jetzt organisiert der Zweckverband für die evangelischen Kindertagesstätten in seinem Gebiet die Abrechnung der Elternbeiträge, Betreuungsverträge, Anträge bei Kommunen und Freistaat und Personalverwaltung. Doch als Träger bleiben dann immer noch zahlreiche Aufgaben an den Kirchengemeinden kleben: Sie müssen Bewerbungsgespräche führen, auf Hygienevorschriften achten, sich ums Essen kümmern. Deshalb hat Dietsch jetzt für die Region Rosenheim und die Region um Wasserburg, Grafing und Ebersberg je einen eigenen Kita-Geschäftsführer eingesetzt, der sich um all diese Fragen kümmert. »So bleibt dem Pfarrer mehr Zeit für seine eigentlichen Aufgaben, insbesondere die Seelsorge«, sagt Dietsch zufrieden und freut sich darauf, dieses Modell auch in andere Regionen »ausrollen« zu können.
Riesiges Verwaltungsgebiet: Eineinhalb Stunden fahren Wilfried Dietsch und seine Leute, wenn sie Gemeinden am Rand des Zweckverbands besuchen. Doch der Aufwand lohnt sich: Das Know-how aus der Fläche hilft bei Problemlösungen im Einzelfall.
Oder das weite Feld der Digitalisierung: 43 Pfarrämter auf den ungefähr gleichen elektronischen Stand zu bringen, sei ein erheblicher Aufwand. »Es gibt da eine große Spreizung in der Arbeitsweise«, sagt der Diakon diplomatisch. Auch bringe Digitalisierung nicht nur Zeitersparnis. »Man hat 30 Prozent mehr Kommunikation für Rückfragen, Klärungen und Controlling der übermittelten Daten – dafür kommen wir weg von der Papierflut und der aufwändigen doppelten Datenerfassung.«
Auch die Umsetzung der Datenschutzverordnung beschäftigt Dietsch: Wie müssen künftig Protokolle gespeichert werden, wie läuft die Kommunikation mit Ehrenamtlichen, was passiert mit der Rubrik »Taufe und Todesfälle « in Gemeindebriefen? Seit dem neuen Gesetz dürfen schließlich Namen oder Mail-Adressen nicht mehr einfach öffentlich gemacht werden. Cool bleiben, ist Dietschs Motto: »Wir gehen oft zu angstbesetzt an solche Themen ran.« Prüfen, was man gut weglassen kann, verhältnismäßig und mit gesundem Menschenverstand handeln, ist sein Rat.
Und schließlich die immer noch unklare Frage nach der Umsatzsteuer. Bis 2021, sagt Dietsch, müssten die Verwaltungsstellen sich rüsten für den Fall, dass Einnahmen aus Gemeindefesten oder Kirchenkonzerten umsatzsteuerpflichtig werden könnten. Das bedeutet in der Praxis leider nicht, einfach 19 Prozent auf die Eintrittskarte aufzuschlagen, um die Steuerschuld zu begleichen. »Wir müssen für die Gemeinden, die umsatzsteuerpflichtig werden, eine Voranmeldung machen, eine Steuererklärung erstellen – und für all das eigenes fachkompetentes Verwaltungspersonal beschäftigen oder externe kostenpflichtige Lösungen finden«, zählt Dietsch auf.
Wo der Normalverbraucher angesichts neuer Vorschriften vielleicht lieber entnervt die Augen zukneifen möchte, schaut der Verwaltungsdiakon genau hin. Denn eines ist für ihn klar: »Wir sind Kirche in der Welt, aber wir müssen auch rechtskonform handeln – und beim Datenschutz oder der Steuerpflicht gibt es eben wenig Spielraum.« Damit der geistliche Auftrag von Kirche unbehelligt wirken kann, braucht es eine Verwaltung, die den Weg dafür ebnet. Ordnung ist dann eben doch mehr als das halbe Leben.
Dekan Peter Bertram: Warum wir das so machen
Der Zweckverband ist PuK pur: Wir wollen uns bei der Verwaltung konzentrieren und kreativ nach Lösungen suchen, wie wir den Service für unsere Kunden, also die Gemeinden, ständig verbessern können. Das geht für uns am besten mit der neuen Rechtsform des Zweckverbands. Die Dekanate behalten die Haushaltshoheit, aber die Verwaltungsstelle kann viel mehr Dinge selbstständig regeln. Der Übergang zum Zweckverband war auch mit Verlustängsten verbunden. Deshalb sind wir stolz darauf, dass wir uns nicht an Status, Macht und Besitzfragen orientiert haben, sondern an Aufgabe und Bedarf. Der große Gewinn: Die zeitfressenden Verwaltungsthemen sind jetzt aus den Dekanatsausschüssen raus – das schafft Luft für inhaltliche Aufgaben.