„Es war Winter und Coronazeit. Ein Mann auf der Durchreise wärmt sich auf, im Treppenhaus vor dem Eingang der Beratungsstelle. Er möchte ein Hemd und einen Pullover, da es draußen sehr kalt ist. Gemeinsam gehen wir zum Möbellager. Er erzählt, dass er lange in der Psychiatrie in Ungarn untergebracht war. Seit über 10 Jahren ist er jetzt auf den Straßen Europas unterwegs. Damit er sich die gewünschten Kleidungsstücke kaufen kann, erhält er etwas Geld. Mehr möchte er nicht und zieht weiter seines Weges.“ Es sind solche Beispiele aus dem Alltag, von denen Mitarbeitende der Sozialen Dienste der Diakonie im Gottesdienst berichten und die den Wert der Beratungsangebote erkennen lassen.
„Wer aus den unterschiedlichsten Gründen an den Rand gerückt wurde, fühlt sich in der Gesellschaft nicht willkommen, gerade deshalb braucht es die Beratungsdienste von Kirche und Diakonie“, betonte Dekan Peter Bertram und begrüßte Gastpredigerin Barbara Hauck. Die Pfarrerin und Pastoralpsychologin Barbara Hauck leitet die „Offene Tür - City Seelsorge an St. Jakob“ in Nürnberg. Sie weiß aus eigener Erfahrung, was es heißt, wenn von Montag bis Freitag Menschen kommen, die jemanden zum Reden, zum Zuhören oder zum Mit-Aushalten suchen, bevor sie den nächsten kleinen Schritt gehen können. Für das Angebot sei weder eine Anmeldung erforderlich, noch müsse etwas dafür bezahlt werden. Ratsuchende müssten nicht einmal wissen, was genau sie eigentlich brauchen, es genüge das Gefühl, dass da was im Inneren nagt oder schreit und man damit nicht mehr alleine sein will. Oft beginne ein Gespräch mit einem halben Satz, wie „Sie können mir sicher auch nicht helfen…“, „Mein Mann ist gestorben und jetzt…“, „Mein Arzt hat mir gerade gesagt, was los ist…“, „Ich hab immer gedacht, ich schaffe alles alleine…“
Immer wieder neu entstehe in ihr dann die Frage, so Hauck, die schlicht und einfach lautet: „Was kann ich für Sie tun?“ Oder in den Worten des Markusevangeliums formuliert: „Was willst Du, dass ich für Dich tun soll?“ Letztlich seien alle helfenden Begegnungen in Kirche und Diakonie von dieser Frage bestimmt, schließlich gehe es dabei vor allem um Zuwendung, Aufmerksamkeit und Begegnung. In diesem Sinne verstehe sich Beratung als ein fundamentales Beziehungsangebot, aus dem Hauck drei wichtige Aspekte hervorhob: Eine innere Grundhaltung, mit der sich die beratende Person einem anderen zuwendet, so lange und so aufmerksam, bis sich in ihr etwas löst an Verwirrung, Verhärtung und Verdunklung.
Weiter sei es wichtig, sich mit seinen eigenen Grenzen und Möglichkeiten als beratende Person zu befassen, gleichzeitig aber auch die vielen Möglichkeiten und das immense Fachwissen des Netzwerks für Ratsuchende zu erkennen. Dazu gehöre aber auch, denen gegenüber, die Verantwortung tragen in einer Stadt oder in einem Landkreis, laut zu sagen: Es kann doch nicht sein, dass sich in diesem reichen Land immer mehr Menschen über eine Tafel versorgen müssen und diese ausgerechnet in Krisenzeiten nun weniger Lebensmittel verteilen können.
Der dritte Aspekt beziehe sich auf Momente, in denen das Elend, die Ratlosigkeit und die Angst der anderen einen selbst schier überwältigen. Spätestens dann gelte es inne zu halten und für sich selbst zu sorgen. In solchen Momenten bekomme die Frage Jesu, die sich an jeden von uns richtet und ebenso als Beziehungsangebot gemeint ist - was willst Du, dass ich für Dich tun soll - einen ganz neuen Klang. Die Verheißung des Helfens und des Sich-Helfen-Lassens sowie die Schönheit vieler kleiner barmherziger Momente, sollen Raum haben in der Beziehung zu Gott und in den offenen Türen in Kirche und Diakonie, denn sie sind größer als die Angst vor Hilflosigkeit und Überforderung.
Haucks Worte, wie auch die von Dekanatskantor Matthias Bertelshofer und Saxofonist Michael Wilkenshof einfühlsam dargebrachte Musik, hallten nach und beeindruckten die Anwesenden, wie der spontane Applaus zum Abschluss des Gottesdienstes bestätigte.